Friedrich Kaiser: Zuschauer am Rande und mit bangem Herzen

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Vor 100 Jahren feierte ein Hiltruper Missionar in Dülmen seine Primiz


In der Mitte: Alois Baumeister Man kann sich die Feierlichkeit und die Festtagsfreude anlässlich einer Primiz in früheren Zeiten gar nicht groß genug vorstellen: Um an einer „prima missa“, also der ersten Messe eines Neupriesters mitsamt Primizsegenteilnehmen zu können, so meinte damals der Volksmund, lohne es sich, ein Paar Schuhsohlen durchzulaufen. In dieser Stimmung dürften sich auch die Dülmener Katholiken befunden haben, als die Priesterweihe und Heimatprimiz von Alois Baumeister aus dem Dernekampanstanden – vor 100 Jahren.

Alois Baumeister wurde am 21. Juni 1894 geboren und fand nach Schule und Kriegsdienst zu den „Herz-Jesu-Missionaren“ in Hiltrup bei Münster. Hier war bereits der ältere Bruder August (1890-1945) eingetreten, der ebenfalls Priester wurde, allerdings nicht „in die Mission“ ging, sondern in Deutschland bleiben sollte. Alois Baumeister legte am 20. Februar 1921 die zeitlichen Gelübde, am 20. Februar 1924 die ewigen Gelübde ab. Am 9. August 1925 empfing er in Paderborn die Priesterweihe, am 16. August folgte die Primizfeier in der Dülmener Viktorkirche. 

 

In einer Mischung aus tiefer Anteilnahme und schmerzlicher Wehmut wird an diesem Tag auch Friedrich Kaiser das Geschehen verfolgt haben. Denn erst wenige Wochen zuvor, im Juni 1925, war Kaiser als Novize der Hiltruper Missionare krankheitsbedingt beurlaubt und mit starken Erschöpfungssymptomen nach Hause geschickt worden. „Die Zukunft war finster“, so erinnerte sich Friedrich Kaiser Jahrzehnte später. „Die Hoffnung auf dem Gefrierpunkt. Und dennoch wollte ich Priester werden. Um jeden Preis.“ Im Laufe des Sommers begab sich Friedrich Kaiser zur Behandlung ins Sanatorium des Neurologen Dr. Wilhelm Bergmann (1862-1941) in Kleve. Dieser hatte in jungen Jahren mit dem berühmten PfarrerSebastian Kneipp (1821-1897) in Wörrishofen zusammengearbeitet und die „Hydrotherapie“ erlernt. Als vom Orden Beurlaubter wird Friedrich Kaiser wohl kaum an der Priesterweihe seines Mitbruders Alois Baumeister in Dülmen teilgenommen haben, vermutlich aber an dessen Primiz in der heimatlichen Viktorkirche. Welche bangen Gedanken mögen ihm durch Kopf und Herz gegangen sein? Wie mögen seine Eltern und Geschwister, die Nachbarnoder früheren Mitschüler ihn wahrgenommen und ihm begegnet sein? Wurde er allgemein bedauert? 

Genau einen Monat nach der Primiz von Alois Baumeister ergab sich für den niedergeschlagenen Friedrich Kaiser insofern eine Entspannung, als der schon erwähnte Dr. Bergmann in einer originellen Stellungnahme am 17. September 1925 formulierte, Kaisers Beschwerden seien „nicht alle fort, aber doch ganz erheblich gebessert. Seine Dickköpfigkeit hat wohl sicher eine nervöse Unterlage. ... Solche Naturen muss man zu biegen, aber nicht zu brechen suchen. Versteht man das, dann sind es später oft die brauchbarsten Menschen, da ihr starker geübter Wille Außerordentliches leistet.“ Diese Aussage sollte sich als prophetisch erweisen. Dass Friedrich Kaiser trotz bleibender schwacher Konstitution sein späteres Wirken in Peru derart leidenschaftlich und unter großen Entbehrungen entfalten konnte, ist wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass seine Ordensgemeinschaft ihm einerseits Erholung ermöglichte, ihn zugleich aber auch forderte und so die weitere Formung seiner Persönlichkeit und Disziplin förderte. Hatte doch der besagte Neurologe den Oberen geraten, „bei aller körperlichen und seelischen Plage ... ihm das ‚Gehorchenlassen’ gründlich beizubringen. Fortiter in re, suaviter in modo“, also fest in der Sache, aber nachsichtig in der Form.

Friedrich Kaiser würde schon bald seinen Weg weitergehen und irgendwann auch Missionar werden, wenngleich es bis dahin noch etliche Jahre dauern sollte. Viel zügiger verlief dagegen die „Karriere“ als Missionar bei Alois Baumeister. Etliche Fotos aus dem Leben und Wirken von Alois Baumeister lassen seine überaus kräftige Konstitution erkennen.Bereits im Herbst 1926 verließ er mit anderen Hiltruper Missionaren Europa und begab sich ins ferne China. Schon bald zeigt er sich in chinesischer Kleidung und Haartracht – und doch sollten sich die pastoralen Möglichkeiten im „Reich der Mitte“ als überaus schwierig erweisen. Die erhalten gebliebenen Erlebnis- und Tätigkeitsberichte von Pater Baumeister sind es wert, einmal eingehen untersucht zu werden. 

So berichtet die „Dülmener Zeitung“ (DZ) am 18. Dezember 1929, dass Pater Baumeister, als Missionssuperior „augenblicklich in China weilend“, in Kweichow(heute Guizhou)von „roten Räubern“ entführt worden sei. Vom 12. – 20. September 1929 seien Baumeister und weitere Christen gefangen gehalten worden, bis Regierungstruppen sie befreiten. Doch die neue Missionsstation der Herz-Jesu-Missionare habe schweren Schaden genommen. Die Dülmener Tageszeitung zitierte aus einem Brief Baumeisters an seine Familie: „Das Maß unserer Leiden und Prüfungen wird doch wohl bald voll sein. Alle vier sind wir jetzt gewürdigt worden, um des Evangeliums willen Banden und Fesseln zu tragen.“

Im Frühjahr 1932 kam Alois Baumeister zu einem mehrwöchigen Erholungsurlaub zurück nach Europa und damit auch nach Dülmen –„nach mehrjähriger entbehrungsreicher Missionstätigkeit“, wie die Tageszeitung am 23. Juli 1932 betonte. In seiner Heimatstadt wurde der Missionar Ende Juli bzw. Anfang August zu verschiedenen Vorträgen eingeladen, bei denen er Bilder aus China zeigte und auch in der chinesischen Landeskleidung auftrat, etwa vor den Kolpinggesellen oder dem Kaufleuteverband. Als dann Friedrich Kaiser, endlich zum Priester geweiht, am 20. August 1932 in Dülmen seine Primiz feiern konnte, war natürlich Alois Baumeister auch unter den anwesenden Gästen bzw. am Gottesdienst teilnehmenden Priestern. „Der Weg des Neupriesters sei nicht immer ein gerader, sondern ein beschwerlicher und mit Dornen besäter gewesen“, so erinnerte laut einem Bericht der DZ vom 22. August 1932 Pfarrdechant Knepper. „Körperliche Beschwerden hätten ihn öfters gezwungen, auszusetzen und Erholung zu suchen.“ Nun sei Kaiser aber erstmal am Ziel seiner Wünsche, „doch nicht ganz. Er wisse noch nicht, wo sein Arbeitsfeld sei. Wenn über einige Zeit der Ruf an ihn erginge, ins Heidenland zu ziehen, um dort zu arbeiten und zu wirken, werde er gern die Opfer und Mühen auf sich nehmen, folgend dem Befehl Christi: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker.“ Aber das ist eine andere Geschichte …

Und was wurde aus Alois Baumeister? Dieser trat nach seiner Rückkehr nach China den Posten eines Superiors am vom Vatikan neu neuerrichten MissionsstützpunktShiquianan, wo er am 4. August 1946, erst 52 Jahre alt, verstarb.Am 30. Oktober 1946 meldete die DZ in knappen Worten seinen Tod. Was Pater Baumeister und seine Mitbrüder im Schatten des Chinesischen Bürgerkriegs, der japanischen Invasion Chinas im Zweiten Weltkrieg und in den Wirren der Nachkriegszeit erlebten und überlebten, darüber lässt sich nur mutmaßen.


Für die Überlassung der nachstehenden Bilder danken wir Herrn Franz-Josef Baumeister aus Recklinghausen!

Alois Baumeister im Ersten Weltkrieg Alois Baumeister als Neupriester Alois Baumeister (3.v.l., mit Tropenhelm) auf dem Schiff nach China
Alois Baumeister im Ersten Weltkrieg Alois Baumeister als Neupriester Alois Baumeister (3.v.l., mit Tropenhelm) auf dem Schiff nach China
     
 Alois Baumeister (m.) mit Mitbrüdern Alois Baumeister (l.) beim „Medizinkochen“ vor dem Missionshaus  Kirche in Shitsien, ca. 1930
Alois Baumeister (m.) mit Mitbrüdern Alois Baumeister (l.) beim „Medizinkochen“
vor dem Missionshaus
Kirche in Shitsien, ca. 1930